Es ist der heilige Gral der Piratenpartei. Das Thema überhaupt in die Hand zu nehmen, erfordert Mut, weil es unser emotionalstes Thema überhaupt ist. Wir wollen es dennoch wagen, denn wir sind PIRATEN. Wir brechen auch im Diskurs in Galaxien auf, die noch nie ein Mensch zuvor diskutiert hat …
Die Forderung nach Transparenz ist aus unserem Schmerz geboren. Aus dem Schmerz, als Bürger intransparenten politischen Prozessen und ihren zum Teil verheerenden Folgen ausgesetzt zu sein, jeden Tag. Jene, die die Macht haben, erschaffen ihre Macht nachgerade durch Abschottung der internen Information. Also standen und stehen wir – ohn-mächtig – draußen auf der Straße und wollen Einblick. Einblick in die Machtstrukturen, um sie zu beeinflussen, und ihre oftmals lobbygesteuerten Ergebnisse zu unterbinden. Kurz: um sie besser zu kontrollieren.
Kontrolle ist die Bedingung der Möglichkeit der Macht.
Ohne Kontrollmöglichkeit, keine Macht. Also geht es in Wirklichkeit nicht um Transparenz als Wert, sondern um Macht. Und Macht ist tatsächlich ein Wert, Transparenz – nach allen zeitgenössisch geltenden Wertemodellen – hingegen nicht.
Kurzes Interruptum:
‚Macht‘ ist gerade in Deutschland dermaßen negativ belegt, dass, wenn uns bewusst würde, das wir hier selbst nach Macht streben, wir uns vor uns selber meinen ekeln zu müssen.
Obacht: Macht auszuüben, um ‘Das Gute für das Ganze‘ zu befördern, ist nicht nur nicht verwerflich, sondern exakt das, wofür wir zutiefst stehen. Dafür gilt es Verantwortung zu übernehmen.
Was also ist mit dem Begriff Transparenz im politischen Raum gemeint?
Welche Bedeutungen kann man dem Wort geben? Welche nicht?
- Wikipedia: Transparenz ist in der Politik ein Zustand mit freier Information, Partizipation und Rechenschaft im Sinne einer offenen Kommunikation zwischen den Akteuren des politischen Systems und den Bürgern. Damit eng verbunden ist die Forderung nach Verwaltungstransparenz und Öffentlichkeitsprinzip.
Als zugrundeliegende Metapher dient die optische Transparenz:
Ein transparentes Objekt kann durchschaut werden …
… und zwar immer. Und damit wird die Metapher überspannt in nicht mehr sinnvolle Extrempositionen, nämlich:
Transparenz Version 1.0 – Wollt ihr die Totale Transparenz?!
„Vollständige Transparenz ist einen Bringpflicht, immer“, hören wir immer wieder. Wenn dem jeder zu entsprechen versuchte, könnte niemand mehr arbeiten. Auch jene nicht, die die ‚Totale Transparenz‘ so vehement fordern.
Das eigentliche Problem ist demnach nicht ‚Transparenz oder keine Transparenz‘.
Problematisch ist es, die Frage genau so zu denken.
Die unangemessen simple binäre Fragestellung und die dadurch provozierte, oft gnadenlos gestellte Forderung nach einem klaren Ja oder Nein ist das Problem.
Duales Denken ist eine Erkenntnisbarriere
Denn wer hier auf ein klares Ja oder Nein besteht, übt eine unverhältnismässig brutale Macht aus, die einen Großteil der realen Möglichkeiten ausschließt. Mehr noch: Der jeden als böse zu brandmarken versucht, der sich nicht sofort einem absolutistischem Ja anschließt. Ein ‚Es kommt drauf an‘ scheidet so unvernünftigerweise völlig aus …
Hier wirkt ein ungeheuerlicher, normalerweise nicht bewusst kommunizierter Glaubenssatz im Hintergrund, nämlich:
„Intransparent = Böse“.
So etwas nennt man in der Semantik (Lehre von der Bedeutung) eine ‚Komplexe Äquivalenz‘. Weil die beiden Begriffe eben keine echte Äquivalenz (Gleichheit) besitzen. Es muss einen komplexen Hintergrund, weitere Vorannahmen, Erfahrungen und weitere Glaubenssätze etc. geben, die das aus sich selbst heraus nicht logische Konstrukt innerlich irgendwie doch konstituieren. Dabei erscheint die Bedeutung dem, der es so fühlt, dennoch völlig logisch. So logisch, dass man darüber nicht nachdenken braucht.
Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Es gibt niemanden, der nicht solche ‚Blinde Flecken‘ in seinem Weltbild hat. Wofür wir plädieren ist, gelassen mit ihnen umzugehen. Und sie schleunigst aufzulösen, so man sie denn entdeckt.
Es geht also nicht um ‘ob oder ob nicht’, sondern um: ‚Wie genau?‘
Nämlich: Wieviel Transparenz – in welchem Falle – für wen – auf welche Art und Weise? Verflixt: Das ist aber aufwändig – sowohl konzeptionell als auch technisch! Und gleichzeitig unabdingbar notwendig. Also braucht esabgestufte Formen der Transparenz.
Ich höre schon den Aufschrei. Wer bei der absolut gesetzten ‚Ganz oder garnicht‘-Forderung bleibt, wird hier: „Wehret den Anfängen“, rufen. Und wer das so fühlt, hat – und das gilt es zu würdigen – einen tief empfundenen Grund dazu. Hier spielt im Hintergrund eine emotionale Stimmung, eine aus schmerzhafter Erfahrung grundsätzlich misstrauische Weltsicht mit, über die schwer zu sprechen ist. Warum? Weil wir uns dazu selbst ganz persönlich anschauen müssen. Das aber ist der höchste stellbare Anspruch an sich und andere Menschen überhaupt. Tun wir es dennoch. Denn wir sind PIRATEN. To boldly go …
Selbstreflektion ist unersetzbar, um sich selbst transparent(er) zu werden
Es beginnt alles in der Kindheit, wo auch sonst. Einige wachsen mit großem Vertrauen in die Welt und ihre Bewohner auf, andere mit weniger oder einem total gebrochenen Verhältnis zu dem Begriff ‚Vertrauen‘. Dafür können wir nichts. Jetzt sind wir groß und stark und können es endlich selbst in die Hand nehmen, für Anstand. Gerechtigkeit, Teilhabe und Aufrichtigkeit zu sorgen. Das macht natürlich jeder anders – ausgehend von seinen frühkindlichen Prägungen. Au weia. Zeit, ein weiteres, spezielles Mienenfeld emotionaler Detonationspotentiale mutig zu betreten.
Beispiel:
Wenn jetzt einer, der davon ausgeht, dass man Menschen, die sich entsprechend äußern, erstmal vertrauen kann, zu einem, der das nicht so fühlt, sagt: „Hey Bruder, ich weiß, dass es Dir schwer fällt zu vertrauen – (was möglicherweise was mit Deiner Geschichte zu tun hat) – bitte tue es dennoch,“ wird eben kein Verständnis ernten, sondern höchstwahrscheinlich Empörung und noch mehr Misstrauen. Kooperation? Fehlanzeige!
Und wenn aber der Zweite zum Ersten sagt: „Warum verstecken Du und Deine Freunde sich (pad, mumble, whatever) hinter geschlossenen Türen?“ wird der Erstere sich ganz zu unrecht unlauterer Motive beschuldigt fühlen. Schlimmer: Angegriffen wird er sich fühlen und womöglich agressiv gegen die ‚ungeheuerlichen Unterstellungen‘ vorgehen. Speziell, wenn er bereits viel FÜR die Partei geschuftet hat, wirft er womöglich den Bettel hin und geht. Dabei meinen es beide doch gut! Und beide fühlen sich total im Recht!
Und tatsächlich wollen sie beide zutiefst dasselbe: Eine Welt erschaffen, in der Gerechtigkeit, Freiheit und Nachhaltigkeit – und wir fügen zu unseren 2012 in Bochum verabschiedeten Werten einen weiteren hinzu:Verbundenheit – mit Leben erfüllt werden und dauerhaft unser aller Leben einen würdigen Rahmen geben.
Und weil das so komplex ist, kann es keine ganz einfachen Lösungen geben. Jeder schaue zuerst bei sich selbst und habe den Mut, an sich zu arbeiten, statt alles Schlimme auf andere zu projezieren. Bei Gott (?!) keine wirklich neue Idee!
Es macht keinen Sinn, aus Angst vor Absolutisten voreilig die Hosen runterzulassen – genausowenig, wie sich grundlos hinter unnötigen und vertrauensschädigenden Wällen zu verstecken.
Eine Partei besteht aus Menschen, die sich in Grundsätzlichem auf der Werteebene verbunden fühlen, sonst blieben sie nicht zusammen. Der Weg zu echter, gefühlter Verbundenheit ist lang. Dabei meint hier Verbundenheit beileibe nicht, immer einer Meinung zu sein. Wie gesagt – Was uns verbindet, sind Werte, nicht Meinungen.
Verbundenheit – unser höchstes Gut, auch und gerade im DisKurs
Was Transparenz für die Macht ist, ist Vertrauen für Verbundenheit:
Die Bedingung der Möglichkeit, dass Verbundenheit entsteht, ist Vertrauen.
Vertrauen ist nun aber eine Funktion der Zeit. Entscheidender Parameter dabei ist:
Die Konsistenz, mit der dem gemeinsamen Wertekanon entsprechend gehandelt und füreinander eingestanden wird.
Wächst das Vertrauen, werden im so entstehenden gemeinsamen Handlungsraum unglaubliche Leistungen möglich, weil alle Energie kooperativ und kreativ, statt auf der persönlichen Ebene konfrontativ wirkt. Dies streben wir im Frankfurter Kollegium und darüber hinaus mit jedem, der dafür offen ist, ausdrücklich an.
Jenseits der Gegensätze beginnt die wahre Arbeit
Wo angebliche Gegensätze sich in Komplexität brechen, ist Arbeit angesagt. Es müssen Arbeitsprozesse definiert – und veröffentlicht (!) – werden, die den Anforderungen der notwendigen Transparenz vollständig genügen und gleichzeitig die Effektivität der Arbeit optimal unterstützen. Zu wissen, wie genau gearbeitet wird und wann Ergebnisse wozu transparent gemacht werden, unterstützt das Entstehen und Wachstum von Vertrauen.
Transparenz 2.0: Konzept der sinnvoll abgestuften Transparenz und der Angemessenheit des Zuganges
Transparenz bedeutet für uns die Nachvollziehbarkeit des Handelns von Politik und des Zustandekommens politischer Entscheidungen von außen.
Dabei ist es Pflicht der Handelnden, die ‘Angemessenheit des Zugangs’ in jedem Falle und weitestgehend durch Dritte objektivierbar und nachvollziehbar festzulegen und auszugestalten.
Das Spektrum reicht dabei von einer 100% Holschuld – z.B.: geheime Wahlplakat-Kampagnen, die die Öffentlichkeit auf keinen Fall vorher sehen darf, die man sich als Pirat aber durch aktiven Kontakt mit der entsprechenden AG oder den Gestaltern durchaus anschauen und diskutieren kann …
… bis zu einer 100%igen Bringschuld – z.B.: “Ihr Planet muss einer Durchgangstrasse der Vogonen wegen gesprengt werden.”
So etwas MUSS im Moment der Entscheidung den Betroffenen aktiv und nachvollziehbar sicher mitgeteilt werden.
Zwischen diesen beiden Extremen liegt naturgemäß ein weites Feld von Möglichkeiten von offenen oder beschränkten PADs, passwortgeschützten Bereichen, AG-Sitzungen mit und ohne Streaming usw. usf.
Demnach ist Transparenz ist kein Wert im ethischen Sinne, sondern vielmehr ein Instrument bzw. eine Handlungsrichtlinie im Zusammenhang des fairen Umganges und Wettbewerbs von Menschen im politischen Raum.
Der Grund, hier zu sein und zu tun, was zu tun ist.
Neben allen Prozessen und Sachdiskussionen halten wir für das Wichtigste:
Wir dürfen, egal wie hoch die Brecher gerade sind, niemals vergessen, wofür wir kamen:
To better the world. Das Betriebssystem der Gesellschaft in einer für alle lebbaren Version zu rebooten.
Das berührt das wesentliche Element politischen Handelns:
Die motivationale Lage der Person zu ihrem eigenen politischen Handeln.
Was das unseres Erachtens (FK) für uns als Piraten bedeuten kann, haben wir u.a. im vorliegenden Papier niedergelegt. Gleichzeitig hegen wir alle grundsätzlich große Zweifel daran, dass die Mehrheit der politisch agierenden Personen und Politiker dieser Welt unsere – dem Guten für das Ganze – verpflichtete Motivation teilen. Auch wenn das als Lippenbekenntnis selbstverständliche Political Correctness ist.
Nachvollziehbarkeit mittels Transparenz auf allen politischen Bühnen der Republik und darüber hinaus
Verstrickungen, Vorteilsnahmen, opaque Kooperationen, Lobbyismus, Erpressbarkeiten und Schlimmeres bestimmen einen Großteil der aktuellen politischen Landschaft.
Auf Basis des hier hergestellten Grundverständnisses des Themas Transparenz gilt es im Folgenden unter Einbeziehung aller in der Piratenpartei bereits erarbeiteten Forderungen zum Thema noch einen Schritt weiter zu gehen:
Wie genau soll auf welcher Ebene Transparenz für Bürger real und ultrapragmatisch hergestellt werden? Dazu gehört die detaillierte Analyse aller parlamentarischen Prozesse, der sie begründenden juristischen Rahmenbedingungen und der sich ‚eingeschlichenen‘ informellen Vorgehensweisen. Auf dieser Basis sowie genauer Kenntnis der Gesetze kann sich die Piratenpartei als hochkompetent positionieren und KONKRET Dinge ändern.
Wir stimmen daher voll umfänglich demauf dem LPT Bayern soeben entschiedneen Antrag zu, nachdem Gremien- und Fraktionssitzungen öffentlich stattfinden sollen.
Beispiel einer Pressemeldung: (Inspiriert von der Piratenpartei-Hessen, danke!)
Piraten fordern noch mehr Videoüberwachung
Streamokratie: Kameras in alle Parlamente
Berlin. Die Piratenpartei Deutschland fordert, dass alle als ‚öffentlich‘ durchgeführten Sitzungen in Stadt, Kreis, Land und Bund per sofort gestreamt – Live ins Internet übertragen – werden. Dies entspricht den gesetzlichen Bestimmungen, den inzwischen äußerst günstig umzusetzenden technischen Möglichkeiten sowie dem von Piraten geforderten ‚Recht auf Teilhabe‘. „Das man pinzipiell dabei sein dürfe, reicht nicht“, so ein Sprecher der Piratenpartei:“auch Behinderte und alle anderen, aus beruflichen oder sonstigen Gründen an der Teilnahme an Parlamentssitzungen ausgeschlossen sind, müssen nachvollziehen können, wie die politische Klasse arbeitet und was genau sie beschließt. Presseberichte reichen da längst nicht aus.“
Als ausführende Organe dieser Übertragungen auf eine entsprechend der Struktur der deutschen Verwaltungsorgane aufgebauten Online-Plattform kommen naturgenäß die Öffentlich/Rechtlichen Sendeanstalten zum Zuge. Diese können hier ihrem Informations- und Bildungsauftrag im 21. Jahrhundert angemessen entsprechen.
Entsprechende Anträge werden durch die Piratenpartei kurzfristig in alle relevanten Parlamente eingebracht. Die Piraten werden aktuell veröffentlichen, welche Parlamente dieser Forderung nach Transparenz und Teilhabe nachkommen, und welche nicht.
Tja:
Wir wissen, es gibt unendlich viel zu tun. Wie singt Sting auf ‘The Soul Cages’ so schön: „A new ship to be build, new work to be done …“
Ahoi Piraten, alle Mann an Deck und vollen DisKurs vorraus!
Anhang:
Zur Methodik persönlicher Transparenzkompetenz
Unvollständige Fragen-Liste zur Steigerung der Eigen- und Fremdwahrnehmung:
- Unterstelle ich dem anderen unlautere Motive?
- Wenn ja, welche genau?
- Wie komme ich darauf, dass dem so sei?
- Was sind meine unausgesprochenen Vorannahmen in Bezug auf Person und Thema?
- Inwiefern habe ich etwas davon, dem anderen unlautere Motive zu unterstellen?
- Wie kann ich auf eine wertschätzende Art mit ihm darüber so reden, dass ich herausbekomme, was tatsächlich der Fall ist?
- Gebe ich Anlass, Unlauteres bei mir zu vermuten?
- Woran könnte das liegen?
- Wie kann ich das erkennbar ändern?
- Sind meine eigenen Motive förderlich für den politischen Prozess und die Partei?
- Muss ich denn so handeln wie jetzt – oder ginge es nicht auch anders?
- Fördert das oder erschwert es die Arbeit unnötig?
- Vor welchem Hintergrund würde ich genau so denken und fühlen wie mein Gegenüber?
Grundsätzlich alles so gelassen wie möglich ansprechen, ohne Wut, ohne Vorwurf, sondern um es wirklich offen zu besprechen.
Let’s Coopirate!
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